11. Mai 2010

Waschpulver

Ich sitze im Zug. Gegenüber von mir sind noch zwei Plätze frei, als ein Mann, mit großer Anstrengung, ein unförmiges Gepäckstück auf mich zu schiebt. Er spricht leise mit sich selbst und wischt sich in einem kurzen Moment erste Schweißperlen von der Stirn. Er hat einen Hut auf, der in dem Gedränge vom Kopf rutscht und eine mittelgroße Glatze präsentiert. Einige Haarsträhnen stehen kreuz und quer in der Luft. Er ächzt und hievt seinen Koffer auf das Ablagegitter. Dann zieht er sich die Jacke aus, hängt sie an den Hacken und hängt seinen Hut gleich dazu. "Der Platz hier ist doch noch frei?" Er atmet schwer versucht irgendwie zu lächeln. Ich nicke stumm und schaue wieder in meine Zeitschrift.
Er riecht nach Waschpulver und Altherrenrasierschaum.
Seine Schuhe sind mittelbraun und langweilig wie so die meisten Herrenschuhe. Keine Besonderheiten. Einfach nur mittelbraun. Er faltet seine Hände über dem Geschlecht und schaut zufrieden aus dem Fenster. Leicht summend. Ich schaue kurz auf seine dunkelblauen Socken und dann wieder in meine Zeitschrift. Auf Unterhaltungen habe ich keine Lust. Überhaupt nicht. Wahrscheinlich hält er mich für arrogant. Heimlich schaue ich ihn in der Fensterscheibe an. Er kramt in seiner Hosentasche und holt einen kleinen Gegenstand heraus. Einen Kamm. Schnell und gezielt kämmt er seine wirren langen Haarsträhnen auf die linke Seite. Drückt es alles noch leicht fest und steckt zufrieden seinen Kamm wieder ein. Waschpulvergeruch strömt auf mich ein. Ich murre- aber nur innerlich. Er soll seinen Fuß zur Seite stellen. Vorsichtig strecke ich neben seinen Füßen, meinen Fuß aus.
Er streicht sich noch einmal über die Haarsträhnen und lächelt voller Zufriedenheit. Ich muss zurück lächeln, weil er so eitel ist.
Er faltet wieder seine Hände über dem Geschlecht und sieht erneut zufrieden aus dem Fenster.
Ich muss mir zwangsmäßig auch durch meine Haare streichen und widme mich erneut meiner Zeitung. " Wo geht die Reise denn hin?" Erwartungsvoll schaut er mich an. Ich habe keine Lust auf eine Unterhaltung. "Nach Wien, " sage ich knapp und schaue nicht auf. "MhmMhm." Er nickt verständnisvoll, dreht die Daumen umeinander und beißt sich etwas auf die Unterlippe. Seine Hose ist schwarz mit kleinen Fusseln. Wir schweigen. Er und ich. Danke.
"Und... was gibt es sonst so neues in der Welt?" Er lässt nicht locker. Ich atme schwer und schaue kurz auf. " Och. Immer dasselbe." "MhmMhm." Er beugt sich etwas vor, als wollte er in meine Zeitung schauen. "Da steht wohl auch nichts neues drin?" Ich ziehe meine Zeitung etwas weg. Er zieht die Augenbraue hoch. Schiebt seine kleine Brille zurecht. Die habe ich bislang noch gar nicht erwähnt. Er trägt eine Brille. Auf der Nasenspitze. Ich versuche den Waschpulvergeruch zu ignorieren. Schwierig. Ich muss an riesige Schaumberge denken und an Waschbretter. Wahrscheinlich muss seine arme Frau zu Hause bleiben und stundenlang seine Wäsche schrubben. Per Hand.
Er steht auf und wurschtelt an seinem Koffer herum. Heimlich folgt ihm mein Blick. Er zieht ein kleines Päckchen heraus. Es knistert. Butterbrotspapier. Zufrieden setzt er sich hin. Klappt vorsichtig das Papier auf und zum Vorschein kommen zwei akkurat geschmierte Brote. Belag? Ungewiss. " Hach." macht er mittellaut. Greift die erste Scheibe mit spitzen Fingern und beißt herzhaft hinein. Belag? Leberwurst. Sofort breitet sich der Geruch aus. Leberwurst trifft Waschpulver. Mir wird etwas schlecht.
"Möchten sie auch ein Brot? Sie sehen es so hungrig an?" Der Mann lacht und sein Bauch wackelt. Ertappt schaue ich zu Boden. " Nein. Danke." " Ich habe noch Brote in der Tasche. Sie können es ruhig haben." "Nein. Danke. Wirklich nicht." Er hält es mir fast unter die Nase. " Wirklich. Nicht. Danke. Ich habe keinen Hunger." "Nein?" "Nein." "Also das kenne ich nicht. Ich habe immer einen gesunden Appetit. Besonders auf Reisen. Da bekomme ich sofort Hunger: Kann man die Uhr nachstellen." Er lacht. Ich lache mit. Aber nicht so laut. Er schaut auf seine Uhr. "Oh." macht er." Oh."
Steht auf, wischt seine Hände an seiner Hose ab. Er greift nach seinem Hut und nach der Jacke. Zieht alles an, zieht den Koffer von der Ablage. " War nett mit ihnen. Ich wünsche ihnen noch eine angenehme Reise." Bevor ich antworten konnte zog er ächzend seinen Koffer hinter sich her.
"Ausstieg in Fahrtrichtung links"
Er hob noch einmal kurz den Hut und verschwand. So wie er gekommen war.
Alles was blieb war der Waschpulvergeruch und ein Leberwurstbrot. Für mich.
Danke. Und auf Wiedersehen. Wollte ich damals noch sagen.

8 Kommentare:

  1. Haha, "Leberwurst trifft Waschpulver" :D
    Super!
    Aber es gibt Schlimmeres, beispielsweise eine Nacht im "Ruhesessel" im Nachtzug ;-)
    Ich fahre morgen früh 5 Stunden mit dem Zug, freue mich schon *Ironie*
    :-)
    LG
    Esra

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  2. hätte echt schlimmer kommen können.....ganz sicher bin:-)

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  3. @esra: Oh, dann wünsche ich dir erstmal eine gute Fahrt. :)Ich fahre eigentlich gerne Zug- wenn nur die ganzen Leute nicht wären. ;)
    Eine Nacht im "Ruhesessel" habe ich allerdings noch nie verbracht. Wie ist das denn so?

    @paderkröte: Es war ja an sich auch nicht so schlimm. Ich wollte einen "Zugmenschen" beschreiben. Ich glaube, da folgen noch weitere. :)

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  4. Liebe Mia, danke für die Antwort ;-)
    "Ruhesessel" hat herzlich wenig mit Ruhe zu tun, habe die ganze Nacht nicht geschlafen. "Alles schnarcht, Esra wacht" (so würde "Stille Nacht" in diesem Falle gehen) :-)

    Aber bei Interesse kannst du hier mehr lesen:
    http://nachgesternistvormorgen.netai.net/?p=1624
    LG
    Esra

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  5. ich kann förmlich waschpulver und leberwurst riechen. ich liebe deinen blog. du schreibst wunderschön! :)

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  6. Das war eine Lebenswurstbrotgeschichte oder?

    Gruss reteper

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  7. Sehr lebendig geschrieben, hab mich sehr unterhalten gefühlt :-) Es ist wirklich einen Blogeintrag wert, was man im Zug so treffen kann. Dabei hattest du ja wirklich noch Glück- ausser, du hättest keine Leberwurst gemocht. Waschpulver finde ich auch nicht schlimm, ausser es ist eines, was nach irgendwelchen Blümchen riecht- aber das ist bei Männern eher selten.
    Wie dem auch sei, ich schau jetzt mal öfter hier vorbei ;-)

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  8. @esra: Ich hatte ja auch immer mal vor, mit einem Nachtzug zu fahren...äh...vielleicht überlege ich mir das dann doch noch einmal. ;)

    @lene: Danke sehr!

    @reteper,psychose,depression : Hihi...ja, könnte man so sagen.

    @sea: Danke. So war es beabsichtig. Keine schlimme, traurige oder wilde Geschichte. Einfach nur Alltag und normales Leben.
    P.S. Ich freue mich und werde mir deine Seite auch mal genauer ansehen. :)

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