19. Oktober 2009

Ene mene Munsch....

Liebes Christkind,

gestern, als ich spazieren ging, traf ich Frau Heine. Eigentlich wird sie Fräulein Heine genannt. Immer. Überall. Sie war ja nie verheiratet und ist daher noch ein echtes Fräulein.
Fräulein Heine stand am Gartenzaun und sammelte mühselig Laub auf. Fräulein Heine trug eine dunkelblaue Schürze und ein buntes Blümchenkleid darunter. Ihre braune Strumpfhose war an einer Stelle gestopft und am Bein konnte man einen Verband vermuten. Fräulein Heine hatte ihre halblangen, leicht welligen, grau/braunen Haare mit zwei Haarklammern aus dem Gesicht frisiert. Sie stand also so da und sammelte die nassen Blätter auf. Leise ächzte sie und hielt sich den Rücken. Liebes Christkind, ich will nichts falsches behaupten, aber ich glaube, dass FräuleinHeine 84Jahre alt ist.
Ich spazierte am Zaun entlang und grüßte sie leise. Ich wollte sie nicht erschrecken. Leider vergaß ich, dass ihr Gehör nicht mehr so gut funktioniert. Also sprach ich etwas lauter. Sie lächelte. Nickte. Sammelte weiter. Ich blieb kurz stehen. "Man hat immer was zu tun. So mit dem Haus", murmelte sie und wischte sich leicht über die Stirn." Ja, das kann ich mir vorstellen. Sagen sie, haben sie niemanden der ihnen helfen kann?" Sie schüttelte den Kopf. Langsam. Sehr langsam. " Mein Schwager ist nun auch gestorben. Jetzt bin ich ganz allein. Allein in dem großen Haus. Wissen sie, ich hatte noch nie Angst, aber manchmal sorge ich mich schon. Meine Nichte kommt manchmal vorbei, fährt mit mir einkaufen oder putzt für mich die Fenster. Aber sie hat auch nicht immer Zeit. Sie ist ein junges Ding. Mal hier mal da. Ich muss mich um alles kümmern. Noch geht es. Aber wer weiß, wie lange meine Knochen noch so wollen.Diese Blätter. Die sind schrecklich. Ich habe immer Angst, dass mal jemand auf ihnen ausrutscht. Es sind so viele. Hach. Ein Elend. 13Säcke hatte ich im letzten Jahr. 13Säcke voll mit Blättern..können sie sich das vorstellen? Ich glaube, dieses Jahr werden es noch mehr." Ich sah in ihre Augen. "Ich habe nie jemanden der mir zuhört oder mal was erzählt. Allein traue ich mich nicht mehr auf die Straße. Wissen sie, ich gehe so unsicher, höre schlecht..und meine Augen...naja..das Alter halt."
Fräulein Heine stand noch eine Weile da. Redete, lächelte. Und während sie so da stand fielen wieder neue Blätter auf den Boden. Ganz leise. Bedeckten sie den Boden. Die Straße. Den Weg.

Liebes Christkind, ich weiß, dass es noch etwas früh ist- aber kannst du mir vielleicht jetzt schon einen kleinen Wunsch erfüllen? Kannst du Fräulein Heine etwas glücklicher machen?Kannst du ihr heute Nacht alle Blätter vom Baum pusten?Weit-weit weg, damit sie sich deswegen keine Sorgen mehr machen muss? Das wäre sehr nett von dir. Echt jetzt mal.

Alles Liebe
Deine Mieze

Mittwoch besuche ich Fräulein Heine. Ich glaube, sie hat noch viele spannende Geschichten in sich. Ja. Ich bin mir sicher. Ihr werdet davon erfahren.

1 Kommentar:

  1. Das ist aber lieb von dir Mieze, dass du die nette Omi besuchen willst. Die freut sich sicherlich. Ich freu mich schon, mehr von Fräulein Heine zu lesen :-)

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