16. Mai 2009

Leicht wie ein Wattebausch

Ich stand vor den Einwegrasieren. Rasiergel brauchte ich. Schwierige Wahl. Explosive Aprikose.Radikale Zitrone. Beruhigende Aloe Vera. Sinnliche Kokosnuss. Eigentlich sollte es nur ein ganz normales Rasiergel sein. Ich seufzte leise und sah etwas hilflos den langen Gang mit Duschgel entlang. Da kam sie. Eine fast gläserne Frau. In Zeitungen hatte ich sie schon oft gesehen.Frauen wie sie. Auch im Fernsehen. In diversen Magazinen und auf irgendwelchen Bildern. Nun kam sie auf mich zu. Langsam, fast andächtig. Jeder Schritt fiel ihr sichtlich schwer. Ich wollte sie nicht anstarren. Musste es aber. Peinlich berührt. Ihre dünnen Haare waren zu einem flüchtigen Zopf gebunden. Ihre Wangen waren stark eingefallen. Ihre Nase nur ein schmaler Strich. Eigentlich bestand sie nur noch aus Knochen. Ich konnte durch ihre Hände sehen. Blasses Blut pulsierte leise in ihren Fingern. Sie steuerte schwankend auf die Wattepads zu. Griff nach einem Beutel und sah kurz auf die Packung. Ich schätzte ihr Gewicht. 40kg. Wahrscheinlich aber weniger. Groß war sie. Mehr Knochen als Frau. Mehr durchscheinend als lebendig. Ich hätte ihr gern ein Bonbon angeboten und fand meine Gedanken selbst lächerlich. Irgendwie hätte ich sie auch gern umarmt. Fest. Wahrscheinlich hätte ich sie dann zerdrückt. Ihr sämtliche Knochen gebrochen. Knacks. Sie hielt die Wattepads fest und steuerte die Kasse an. Langsam, schlurfend. Ich schaute ihr noch eine Weile nach, überlegte mir Geschichten zu der Frau, versuchte mir vorzustellen wie sie mal ausgesehen hat, warum sie so abgenommen hat. Was die Gründe waren. Traurig wurde ich. Etwas. Leid tat sie mir. Sehr. Zum Essen einladen. Wie lächerlich. Ein Gespräch anbieten. Noch schlimmer. 
Ich griff nach dem beruhigenden Aloe VeraGel, nach einem Schokoriegel und verließ langsam, andächtig den Laden.

4 Kommentare:

  1. Was war das denn für eine Frau? Hab noch nie von ihr gehört. Hört sich aber ziemlich schlimm an.

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  2. Es war eine ganz normale Frau. Irgendwann mal. Nur sehr, sehr abgemagert. Irgendeine Essstörung hat nur noch eine gläserne, hauchdünne, Frau hinterlassen.

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  3. War das jetzt peinlich, dass ich es nicht rausgelesen habe? Ich fühl mich nämlich so.
    Das mit den Essstörungen ist eine grausame Sache. Man hat sie direkt vor den Augen und sieht sie trotzdem nicht. So gings mir bei ner Freundin. Hab ihr immer geglaubt, als sie Aussagen von Lehrern vehement abgestritten hat.

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  4. Beim Lesen deines Eintrages, dachte ich es käme zu einem anderen Schluss,... kein schöner Schluss, hab wohl zu viel von mir reingetan beim Lesen. Ich hätte gedacht, wow die ist dünn, mag auch so sein.

    Aber die Frau muss ja furchtbar ausgesehen haben, wenn du schon ans Essen einladen denkst...

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