9. Januar 2009

Waldi pinkelt weiter

Frau Nölle wohnt am Ende der Straße. Frau Nölle wohnt dort allein. Ohne Mann. Ohne Kind. Ihre Schwester lebte mal bei ihr. Aber das ist schon etliche Jahre her. Frau Nölles Schwester ist gestorben. Ich war damals vielleicht 9 oder 10Jahre alt. Naja, seitdem lebt sie dort allein. Sie hat einen großen Garten mit viel Gemüse. Sehr viel Gemüse. Soviel Gemüse, dass man fast die Augen etwas zusammen kneifen muss um alles zu sehen. Im Garten habe ich sie nie gesehen.Strenggenommen habe ich sie generell nie gesehen.Niemals nie. Manche vermuten, dass sie nur in der Nacht ihr Gemüse erntet und pflegt. Daher hat sie auch immer das tollste Gemüse. Keine Raupen, Schwebfliegen, Schimmelpilze oder Blattläuse. Viele sind neidisch. Beispielsweise Frau Möller von schräg gegenüber. Oder Herr West. Der zieht seine schiefe Nase immer etwas hoch und lässt seinen Dackel an den Zaun von Frau Nölle pinkeln. Dann scharrt der Dackel etwas mit seinen kurzen, krummen Beinchen und Herr West geht zufrieden weiter.
Jetzt ist der Winter da. Bei Frau Nölle wächst Grünkohl. In langen Reihen steht er da. Hübsch sieht er aus. Sehr hübsch sogar. Und groß ist er. Nahezu riesig.
Heute Morgen war es eisig kalt. Ich konnte kaum atmen. Meinen Schal hatte ich über die Nase gezogen. Meine Hände spürte ich schon seit Stunden nicht mehr. Am Zaun von Frau Nölle stand Herr West. Mit seinem dicken Dackel Waldi. Waldi war es wohl auch zu kalt und so zitterte er vor sich hin. Nicht einmal sein kleines Bein wollte er heben. Herr West hatte seine Nase weit vorgestreckt. Sehr weit. Und selbst Frau Möller wankte über die glatte Straße. Macht sie normalerweise nicht. Zu jefährlich. Nee nee...nicht noch wat brechen. Und schon lange nicht im neuen Jahr. Aber heute wagte sie es. Und heute..ja heute war es das erste Mal, dass  ich Frau Nölle in ihrem Garten sah. Sie stand auf den untersten Stufen ihrer kleinen Treppe. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Grüßen konnte ich sie auch nicht. Hätte ich gern getan. Und ihr gesagt, wie hübsch ihr Garten immer ist. Wie lecker ihre Himbeeren sind und wie großartig ihr Sommersalat, den ich einmal geklaut habe. Frau Möller drängte sich dicht an den Zaun und japste nach Luft. "Och. Och. Die arme Frau Nölle..." Frau Nölle hörte es nicht mehr. Denn sie stand auf den untersten Stufen. Männer kamen und trugen sie vorsichtig in ihr schwarzes Auto. Krschhhh. Machte es leise. Dann schlugen sie die Tür zu und fuhren weg.
Nur Waldi. Dem machte das alles nichts. Der pinkelte an den Zaun und Herr West ging zufrieden weiter.

4 Kommentare:

  1. ich mag diese Geschichten von dir, auch wenn ich manchmal Angst vor den letzten 2 Sätzen habe

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  2. @franzjosef: Ich schreibe die Geschichten auch besonders gern auf. Naja...es geht halt nicht immer alles gut aus.

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  3. Du kannst etwas und das wirklich sehr gut, die Geschichte aufzubauen sie in den letzten 2 Sätzen auf den Punkt bringen ohne zu viel zu verraten, so das man anschließend noch grübelnd dasitzt und das ganze 2 oder 3 mal liest.

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  4. Wieder eine sehr schöne Geschichte, wie sie täglich passieren. Aber nur wenige schreiben sie so auf wie Sie das tun.

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