15. Oktober 2008

Hinter der Fassade

Reihenhäuser mit hübschen,gepflegten Vorgärten schlängelen sich aneinander. Kinder malen mit hellgrüner Kreide auf die Straßen und Mütter stehen lachend daneben. Aus einem Wohnzimmer kommt leiser Jazz und die Gardinen wehen passend im Takt.
Das ist die eine Seite der Straße.

Und dann gibt es da das andere Viertel. Normalerweise verirrt sich dort niemand so schnell hin. Nur eine Straßenecke weiter ist es. Häuser wurden von Spraydosen verziert. Einzelne Fenster sind bereits eingeschlagen. Gardinen findet man hier nur selten. Kinder sitzen vor der Haustür rauchen oder schmeißen Steine nach den Katzen. "Ey, Bitch! Warte mal!" Ein Junge rennt zu einem Mädchen,er küsst sie und fasst ihr noch schnell an den Hintern. Langsam gehe ich weiter.
Mein Ziel ist ein verlassenes Haus. Genauer gesagt, ein verlassenes Hochhaus. Hinein möchte ich. Durch die Zimmer schreiten und mich mal umsehen. "Da wohnen nur die Gangster und Einbrecher drin. Da darf man nicht reingehen.." sagte ein Junge zu mir. "Das wird bald explodieren. Peng! Und wenn man da irgendwo drauf tritt bricht alles zusammen, kein guter Ort für ein Mädchen" meinte ein Mädchen. Seitdem ist meine Neugier geweckt. Ein gelbes Stofftier hing gequält in einer der überfüllten Mülltonne und vom Haus gegenüber dröhnte Musik. Kleine Steine knirschten hingebungsvoll unter meinen Sohlen. Schnell band ich meine Haare zu einem flüchtigen Zopf und zog meine Jacke etwas höher. Ein wenig fühlte ich mich wie in einem billigen Film... nur ohne Hauptdarsteller..irgendwie.

Das Hochhaus wirkte traurig,einsam und verlassen. Ruhig war es hier, dunkel und fast ein kleinwenig unheimlich. Vielleicht sollte ich doch nicht hinein gehen.Eine kleine Diskussion begann in meinem Kopf und während ich noch so grübelte, öffnete meine Hand die quietschende Tür. Gänsehaut machte sich breit. Ein staubiger, muffiger Geruch zog sofort in meine Nase. Ich zog meinen dünnen Schal etwas höher und machte einen Schritt über die Scherben hinweg.Ich musste dran denken, was passieren würde, wenn ich Barfuß wäre und musste mich leicht schütteln. Der Geruch wurde schlimmer und ich schob meinen Schal über die Nase.
Durch die Fenster wehte ein leiser aber kühler Wind. Ein modriger Geruch flog durch die kleine Eingangshalle. Wenn die Fenster nicht schon kaputt wären, würde ich sie vorsichtig öffnen. Hin und wieder lag Müll auf dem Fußboden. Eine Flasche oder eine leere Tüte. Chipstüte oder so. Vielleicht auch eine Tüte von der Bäckerei. Ich zog mir die Ärmel über die Hände. Anfassen mochte ich nichts. Zu ekelhaft. Ging weiter. Leise. Stand im leeren Flur. Treppen liefen rauf und runter. Viele Familien haben hier gelebt. Viel Geschrei, Gelächter, gute Nachrichten und Tränen. Viele Geschichten flüsterten durch den Flur. Worte schwirrten fast an mir vorbei. Greifbar. Überall. Unausgesprochene Liebesbekundungen, Hoffnungen, erste Küsse und Enttäuschungen. Liebeskummer und Teenagersorgen, Familienfeiern und Weihnachtsfeste.Bierflaschen standen fein säuberlich auf der Treppe. Allein gelassen. Eine Schnapsflasche gesellte sich dazu. Merkwürdig still war es . Wohl fühlte ich mich nicht. Gehen konnte ich aber auch nicht. Gern würde ich mich auf die Treppe setzen ,nur kurz...aber sie war voller Scherben und Schmutz.
Die Wände waren beschmiert."Schlampe" stand an der linken Wand. Unter dem "Schlampenschriftzug" waren zerfledderte Tapeten. Tapeten mit Blumen. Nostalgisch. Fast hübsch und doch vergessen. Irgendjemand hatte vor einer kleinen Ewigkeit genau diese Tapete ausgewählt. Voller Hingabe, Herzblut, vielleicht mit dem letzten ersparten Restgeld. Irgendjemand hat sie angeklebt. Mühevoll, Blume an Blume. Nun ist es vergessen und beschmiert. Einfach so. Weggeworfen. Unachtsam.Schade.Die Scherben glitzerten hübsch und die leeren Chipstüten raschelten leise im Takt des Windes.
Es gibt viel Schönes man muss nur genau hinsehen. Manchmal auch zweimal. Im Notfall auch dreimal- mit Kontaktlinsen. Punkt.

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