12. Juli 2012

Ausweg

" Wo warst du solange? Warst du krank?" , fragend sah ich Susi an. Susi aus dem Bus. Normalerweise fährt sie jeden Tag mit. Nun habe ich sie über Wochen nicht mehr gesehen. "Mein Freund ist gestorben".  "Oh." sagte ich und schaute bedrückt nach unten. Mit so einer Botschaft hatte ich nun nicht gerechnet. "Ich war in der Küche und er saß, wie immer, im Wohnzimmer. Auf einmal rumpelte es und ich hörte nur einen lauten Schlag. Ich ging so schnell ich konnte ins Wohnzimmer und da lag er schon. Auf dem Teppich. Die Bierflasche neben ihm." "Oh." sagte ich erneut, da ich keine richtigen Worte in mir hatte. Susi schluchzte. "Ich habe sofort einen Krankenwagen angerufen- aber da war schon alles zu spät. Ich hatte ihn noch im Arm- aber er hat nichts mehr mitbekommen. Er hat sich auch nie beklagt." Sie schnaufte in ihr Taschentuch. "Jetzt habe ich nichts und niemanden mehr." Ich sah sie kurz an. Der Bus hielt an einer Haltestelle. "Aber du kennst doch so viele Leute, du bist doch so ein offener Mensch." Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. " Ich kenne viele- aber nur flüchtig. Die wollen doch nichts mit mir zu tun haben. Ich kann nicht einmal kochen. Das musste ich nie machen. Jetzt esse ich jeden Tag eine Tütensuppe." " Das tut mir leid", murmelte ich, "hast du denn niemanden im Haus- der dir mal helfen kann?" " Unter mir wohnt eine ältere Dame mit drei Söhnen. Die sind aber schon groß. Am Anfang durfte ich mal bei ihr Essen. Das war sehr schön. Gestern hat sie mir gesagt- ich soll jetzt nicht jeden Tag antanzen. Es wird ihr langsam zu viel und es nervt." "Mhm." Der Bus hielt. Eine ältere Dame stieg ein. Ein junges Mädchen und ein älterer Herr mit großer Tasche.
" Der liebe Gott hat mich von Anfang an bestraft." Susi schnaufte. " Sag das doch nicht- es wird auch wieder bessere Zeiten geben. Ganz bestimmt. Es dauert seine Zeit- aber irgendwann wird es besser." Susi sah mich an. Lange.
"Als ich auf die Welt kam- hat der liebe Gott mir so ein Aussehen verpasst. Ein Auge, Auswucherungen überall. Ich bin dick und hab kaum Haare. So sah ich als Kind schon aus. Niemand wollte mit mir spielen. Als ich 8Jahre alt war- starb meine Mutter. Es war der schlimmste Tag meines Lebens. Mein Vater war sehr gefühlskalt- aber er hat sich um mich und um meinen Bruder bemüht. Mein Bruder ist mit 17Jahren ausgezogen- so sehr hat er sich für mich geschämt. Er will keinen Kontakt mehr zu mir. Ich weiß nicht einmal genau wo er heute lebt. Vielleicht in Berlin. Er verdient viel Geld. Dann lernte ich Christian kennen. Ich weiß, dass er mich nie richtig geliebt hat- aber er mochte mich irgendwie. Es war ihm unangenehm mit mir raus zu gehen. Dennoch hat er es gemacht. Ja, er hat viel getrunken und geraucht- aber er hat sich immer um mich gekümmert. Auch als ich so lange im Krankenhaus lag, wegen dem Gehirnbluten. Er war immer bei mir. Er hat mich schon gemocht. Auf seine Art. Vor 6Jahren ist meine geliebte Katze gestorben. Vor 5Jahren mein Vater. Der letze Familienanschluss. Jetzt mein Freund. Ich habe niemanden mehr. Die Miete hat er komplett bezahlt- so viel Geld habe ich nicht- da muss ich bald raus. Ich weiß gar nicht wohin."
Susi machte eine Pause. Schnaufte. Schluchzte. Schaute aus dem Fenster. " Der liebe Gott meint es nicht gut mit mir. Wirklich nicht. Wie soll es da wieder besser werden? Jetzt, wo ich ganz allein bin?!"
Der Bus hielt. Die Türen schnauften und öffneten sich langsam. Niemand stieg ein- alle stiegen aus.

2 Kommentare:

  1. mh.

    Vielleicht könnte ich ...
    Vielleicht sollte ich ... (MAN sollte auf jeden Fall!)
    Aber gibt es nicht ...

    Ach narf.

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  2. Leider ist man immer sprachlos. Aber was kann man auch tun? Es ist schön, dass Du ihr zugehört hast!

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