26. Januar 2010

Drei Löffel Zitronentee

In einer Straße. Irgendwo hier in Paderborn, da lebt Frau Malz. " Malz, Malz- Ohrenschmalz" steht in kritzeliger Schrift unter der Klingel.Mit Edding. Ein Kinderstreich. Vermutlich. Frau Malz hat allerdings schlechte Augen, daher ist es ihr nie wirklich aufgefallen. 
Frau Malz lebt in einer ruhigen kleinen Straße. In einem hellbraunen Haus. Mit einer dunkelbraunen Holztür. 6 weitere Wohnungen gibt es in dem Haus. Frau Malz lebt gleich in der ersten Etage.
Kennengelernt habe ich sie eher zufällig. Sie stand irgendwann vor dem Haus. Suchte ihren Schlüssel. Dabei steckte er im Türschloss. Ich habe ihr die Tür geöffnet und sie hat mich auf einen Kaffee eingeladen. Frau Malz lebt allein. In einer kleinen 2-Zimmerwohnung. Altbau. Blümchentapeten und dunkelgrünes Cordsofa. Viel mehr habe ich von ihrer Wohnung nie gesehen. Ich saß auf dem Sofa und trank einen Schluck Zitronentee, den zum auflösen, und sie erzählte. Etwas. Nicht zu viel. Sie schaute viel mehr umher. Ich erzählte. Sie hörte gern zu. Geschichten aus der Stadt wollte sie hören. Von der Liebe. Von jungen Menschen. Von Musik und von mir. Eigentlich wollte sie alles hören. Sie hat es einfach aufgesaugt. Ich glaube, Frau Malz war zu lange, zu allein. " Frau Malz, sagen sie- sind sie nicht oft fürchterlich allein?" Sie lächelte. Ein Zeichen dafür, dass ich zu leise war. "Frau Malz, sind sie manchmal allein?" "Allein? Ach Kindchen, ich bin doch immer allein. Jeden Tag." Sie nickte betroffen und nippte am Zitronentee, den zum auflösen. "Ist das nicht schlimm?" Sie schüttelte leicht den Kopf. " Ne, ist nicht schlimm." Sie fuhr mit einer Fingerspitze über ihr Spitzendeckchen. " Weißt du Kindchen, manchmal ist es doch etwas schlimm. Dann sehe ich aus dem Fenster und schaue dem Leben zu. Ich sehe schlecht, ich höre schlecht und laufen kann ich auch nicht mehr so gut. Ach...vergesslich bin ich auch noch. Ein Elend. Aber ich bin nicht unglücklich. Nein.War ich auch noch nie" Ich nickte verständnisvoll. Irgendwie, versuchte ich es zumindest und dann erzählte ich einfach wieder. Das mochte sie am liebsten. "Haben sie denn niemanden der sie ab und an besucht?" Sie lächelte. " Besucht sie denn jemand?" "Ach Kindchen, du besuchst mich doch. Manchmal kommt auch Frau Poll. Die wohnt schräg gegenüber. Aber ich mag sie nicht sonderlich. Schwierige Person. Sehr neugierig. Sie redet zu viel.Besonders gern über ihre ungeliebte Schwiegertochter. Ach. Schreckliche Person. Aber es ist mal eine Abwechslung. Weißt du, was ich mache wenn mir die Decke mal auf den Kopf fällt?" Verschwörerisch blinzelte sie mich an." Nein, was machen sie dann?" " Wenn mir mal die Decke auf den Kopf fällt, dann schreie ich. Aber nur leise, damit ich die Nachbarn nicht störe. Dann geht es mir wieder besser." Sie kicherte und trank noch etwas Tee. Ehrlich gesagt, mochte ich noch nie den Zitronentee, aber ich trank den letzten Schluck und machte mich wieder auf den Weg. Ich besuchte sie hin und wieder. In der letzten Zeit seltener. 
Letzte Woche war ich in ihrer Straße. Ich bog ab und sah das Haus. Friedlich stand es da und ich freute mich insgeheim schon auf den Zitronentee. "Malz, Malz, Ohrenschmalz" stand auf der Hauswand.Wie immer.  Ich wollte klingeln. Zweimal. Wie immer. Aber das Klingelschild war entfernt. Leer. Ein junger Mann ging an mir vorbei, hinein ins Haus. " Entschuldigung, sagen sie, wohnt Frau Malz nicht mehr hier?" Er zuckte mit den Schultern. " Ich glaube sie ist verstorben, nach Weihnachten. Ja, wurde erst Tage später gefunden. Naja, keine Ahnung. Wohnung ist jetzt leer." Sagte er und verschwand im Hausflur.Die Tür schlug zu. Laut.. Und ich wollte schreien, aber nur leise. Damit ich die Nachbarn nicht störe.

5 Kommentare:

  1. Du hast so eine wundervolle Art zu schreiben, so einfühlsam, so besonders. - gerade so ein schwieriges Thema wie der Tod auf so eine (ich finde kein richtiges Wort dafür) Art zu verpacken...ufff und wow.
    Arme Frau Malz, warum konnte Die nicht laut umfallen so das sie doch die Nachbarn hören?
    Solche Geschichten sind wirklich traurig und kommen leider viel zu oft vor...

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  2. Ich kann ja schlecht jedes Mal unter Deine Texte schreiben, wie grandios sie sind, obwohl sie es sind. Darum dieses mal eine Frage: Öh! Du wohnst in Paderborn!? Wie schön. Das ist nicht weit weg von meiner Heimat und freut mich deswegen.

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  3. Oh.

    Wünschte, ich würde so etwas nicht so gut wiedererinnern.

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  4. Mein Engel, ich liebe deine sanftes Wesen.

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  5. ich bekam soeben gänsehaut und tränen sammelten sich in meinen augen....... was für eine traurige geschichte und was für eine wunderschöne art zu schreiben.
    ich werde... nein, ich muss dich einfach abonnieren!

    liebste grüße, mars

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