23. September 2009

Los, spring!

Sie ist in der ganzen Straße bekannt. Lilly. Jeder hier kennt Lilly. Lilly ist 5Jahre alt. Sie ist nicht besonders groß, nicht besonders flink und auch nicht besonders hübsch. Lilly ist ein normales Mädchen. Kastanienbraune Haare, grüne Augen, Sommersprossen und mir einer Vorliebe für Ringelshirts. Herzchenshirts findet sie "Igitt". Unverständlich- aber es ist so.
Lilly besucht mich ab und zu. Dann sitzt sie auf meinem Ledersofa und isst Schokoladenkekse. Sie schmatzt immer recht laut. Ich versuche meinen Beruf zu vergessen und weise sie daher nicht daraufhin. Sie sitzt also so da- sieht immer etwas verträumt aus und erzählt mir Geschichten. Sie erzählt gern vom doofen Max, von der zu strengen Kindergärtnerin und von ihrem Vater. "Manchmal weint er." flüstert sie leise und nimmt sich einen zweiten Keks. Einen mit Himbeermarmelade. Sie erzählt von fliegen Pferden und von Hannah Montana. Dann spielt sie Dsi, lacht, flucht, schnaubt ein wenig und dann geht sie wieder. Einfach so.
Lilly geht manchmal mit mir spazieren. Dann gehen wir die Straße entlang und sie zieht einen kleinen Holzdackel hinter sich her. "Frau Gärtner hat gesagt, dass nur Babys einen Dackel ziehen. Das hat sie gesagt, Mieze. Das war doch nicht nett, oder? Ich gehe nie, nie mehr in den doofen Kindergarten." Ich schaue sie kurz an. Wütend sieht sie aus. Und entschlossen. Entschlossener als ich es jemals war. " Frau Gärtner hat wahrscheinlich keine Ahnung. Wie sollen Babys einen Dackel ziehen können? Das geht ja gar nicht. Ich glaube, Frau Gärtner hat keine Ahnung. Null Ahnung, wenn du mich fragst." Lilly nickte zustimmend. " Frau Gärtner ist eine Pupsrakete." Ich ließ es mal unkommentiert stehen.
Wir gingen die lange Straße entlang und sahen ein Feuerwehrauto. Rot. Leuchtend. Irgendein Probealarm. Leute standen, beeindruckt, unter der Feuerwehrleiter und Feuerwehrmänner rollten, schwitzend irgendwelche Schläuche auf. Wir standen unter der Leiter. Lilly und ich. Schauten nach oben. Hoch. Hoch in den himmelblauen Himmel hinauf. Ich weiß nicht, wie lang so eine Feuerwehrleiter ist, aber sie wirkte unendlich.
Lilly zupfte an meiner Hose. "Mieze, du Mieze..." flüsterte sie leise. So leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. Ich hockte mich hin. " Mieze...die Leiter..die Leiter geht ja bis in den Himmel." Ich nickte stumm. " Mieze..da muss meine Mama nur einen kleinen Schritt wagen, nur einen einzigen winzigkleinen Schritt und schon kann sie zu uns runter klettern. Mieze, glaubst du Mama traut sich das? Sie fehlt mir. Sehr. Los Mama, trau dich...spring!!"

Lillys Mutter ist vor einem Jahr plötzlich verstorben. Lillys Mama hat sich nicht getraut auf die Leiter zu steigen. Ich konnte Lilly nur in den Arm nehmen. Lange. Und ein Honigbonbon anbieten.

2 Kommentare:

  1. Mit 5 Jahren habe ich auch im Flugzeug gesessen und nach meinem verstorbenen Opa ausschau gehalten.
    Ihn nicht zu entdecken war enttäuschend.

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